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Offiziersbücher

›Das Gesicht der Etappe‹ heißt das eine, von Victor Jungfer (Verlag von Fritz Würtz, Berlin-Riga-Leipzig). Es ist ein mattes und mildes Buch trotz aller Kritik, und es taugt auch nicht viel, und ich hätte es hier gar nicht angezeigt, wenn ich nicht dartun wollte, dass selbst den sanften und braven Menschen ganz leise und langsam Zweifel gekommen sind, ob während des Krieges alles so in Ordnung gewesen ist, wie die Ludendorff-Literatur uns das glauben machen will. Dieses Buch zeugt von jener deutschen Objektivität, die die Mißstände geißelt, ohne doch das Ganze zu verwerten. Aber sogar diese Augenblicksschilderungen ergeben, wenngleich sehr verwaschen, in ziemlicher Echtheit das Bild der deutschen östlichen Etappe:

Eine im Wachdienst und in Abkommandierungen faul herumlungernde Truppe, mit der die Vorgesetzten nichts Rechtes anzufangen wissen: daher Stiefelappelle, Exerzieren und kleiner, dummer Dienstbetrieb; gelangweilte und gegen den Abend hin halb betrunkene Leutnants, die nachts bei der jüdischen oder lettischen Prostitution schlafen; verdummendes und verdummtes Kasinoleben, in dem die oberflächlichsten Phrasen über das Vaterland mit alten Wirtinnenversen wechseln; in jedem Offizierkorps einer, der den ganzen Kram nicht begreift, darüber nachdenkt und von seinen Kameraden nicht für voll genommen wird; schiebende Gefreite, schiebende Unteroffiziere und schiebende Feldwebel, von denen die Judenschaft der kleinen Orte mit Bewunderung noch etwas lernen kann; inspizierende Stabsoffiziere, die mehr Gehalt, mehr Rechte, mehr Vaterlandsliebe und mehr Alkohol in sich tragen als die gewöhnlichen Oberleutnants und Hauptleute; schiebende Offizierstellvertreter, schiebende Feldwebelleutnants und schiebende Flugzeugführer; Vaterländischer Unterricht; Suff, Stumpfsinn und Urlaubsfahrt; Schieber in Uniform, Kriecher in Uniform, Bürokraten in Uniform, Schweine in Uniform; als Soldaten verkleidete Pfaffen, Bankiers, Schreiber, Ärzte und andre Menschenkinder; Wickelgamaschen, Gendarmeriebäuche, Propellersurren und Schnaps … Überschrift: Die Etappe.

Was der Verfasser aus eigenem dazu gegeben, ist etwas dünn. Er spricht beharrlich, wie es die Vorschrift erheischt, von den ›Herren‹ – im Gegensatz zu den ›Leuten‹. Er malt altmodisch Typen auf und gehört im großen ganzen zu den Lauen. Aber schließlich ist gut, dass sowas überhaupt geschrieben wird.


Offiziersbücher … ›Der Revolutionsoffizier‹ heißt das andre. Roman aus den ersten Tagen der Reichswehr von Martin Lampel (Verlag Es werde Licht zu Berlin). Als literarische Leistung gleich Null, als Kulturdokument interessant und wichtig.

Der Verfasser gehört zu jenen Leuten, die da glauben, der kulturelle Tiefstand des deutschen Offizierkorps sei auf kleine Schönheitsfehler zurückzuführen, die sich bei geeigneter Behandlung ausmerzen ließen. Er weiß und sieht nicht, wie in dieser Kaste Vorzüge und Fehler so untrennbar miteinander verwachsen sind, dass man nur bejahen oder ablehnen kann. Eine Teilkritik ist hier nicht möglich. Das auf der Titelseite angezeigte Buch des Verfassers: ›Luftabenteuerliche Geschichten vom Bombenflieger und andre Erzählungen‹ kenne ich nicht; wahrscheinlich ist er ein Mann, der den Krieg für legal und richtig hält und höchstens über die Modulationen des Tötens zu diskutieren geneigt ist. ›Der Revolutionsoffizier‹ aber gibt ein derart katastrophales Bild des Reichswehr-Offizierkorps, dass man der Republik und Eberten zu dieser Garde nur gratulieren kann.

Das deutsche Offizierkorps hatte in den vier Kriegsjahren alles erfüllt gesehen, was man ihm als Ideal aufgestellt hatte. Solch eine Glanzzeit zu erleben, hatte sichs kaum je träumen lassen. Bestätigt war der Glaube an die eigne Überlegenheit über eine ganze Nation, der Glaube an die Standesvorrechte, an die Standesansichten, der Glaube an den Kastendünkel, an die Unfehlbarkeit des Dienstweges und an das widerliche Theater militärischer Verlogenheit, die unter dem Deckmantel des Reglements menschlichen und finanziellen Bedürfnissen mehr Spielraum lieh, als es ein geordnetes Zivilleben je tun konnte. Und so, genau so sind sie durch die Revolution gekommen, die kein Achselstück naß machte. So, genau so hat sie die Reichswehr übernommen, und so schildert sie der Verfasser. Und schildert sie da am eindringlichsten und wahrhaftigsten, wo er selbst ›nichts dabei findet‹, an den Stellen, wo er naiv der Meinung ist, das müsse so sein und alles sei in Ordnung. (Wie ja für den Wert und die Lebensanschauung eines Schriftstellers immer nur das für ihn Selbstverständliche bezeichnend ist.)

Das Buch schildert vor allem das Leben in den Freiwilligen-Formationen, und man kann hiernach ungefähr ermessen, welchen Gaurisankar an Korruption, Dummheit, Unehrlichkeit, Roheit und Niedrigkeit wir da haben bezahlen müssen. Ich möchte nicht wissen, unter welch düstern Posten die Etats für diese Mörderbanden figurieren …

Vor allem bezeichnend ist die kindliche Auffassung der Offiziere von ihrer Existenznotwendigkeit. Jede Spitzelnachricht ist willkommen; man fragt sich nur immer, was die Leute eigentlich machen; wenn das eigne Volk einmal, Gott behüte, ruhig ist. »Der Wagen müßte unbedingt kampffertig werden, morgen oder übermorgen wären Revolten zu erwarten.« Woher weißt du? Frags Pferd. Alles ist hübsch eingeteilt: die eignen Soldaten sind brav und zuverlässig, Spartakisten sind »Bollwerks-Brüder aus der nahen Hafenstadt. Die sind gefährlich, machen gehässige Mienen. Aber bei der schwatzenden, vergnügten Schar, die um ihre Leutnants herumwimmelt, sehen sie kein geeignetes Feld für ihre Propaganda der Unzufriedenheit.« Lieber Herr, die Welt besteht nicht nur aus Propagandazentralen, wie ihr eine seid! Und es ist lustig und traurig zugleich, wie diese albernen Kompetenzstreitigkeiten aus dem Kriege, wer selbständig ist und wer nicht, brav von euch mit herübergenommen wurden. Direkt unterstellt sein – das ist euer größter Stolz: »denn die Besatzung war jetzt nach ihrem Zusammentritt eine vollkommen in sich abgeschlossene Formation, da biß keine Maus einen Faden davon ab«. Und wie erinnert mich der Schwindel mit den Dienstreisen an meinen guten alten Krieg! Und wie erinnert überhaupt der ganze Ton, der durch das Buch geht, an die niedrigste Zeit niedrigster Menschen! »Schmidt ist mein tüchtigster Kommandant aus den Straßenkämpfen in Berlin her.« Seiner. So viele Kommandanten, Chefs und Vorgesetzte gibt es überhaupt gar nicht, und beide Angestellte spielen Landsknecht – der Leutnant sagt: »Mein Unteroffizier«, und der Unteroffizier sagt: »Mein Leutnant«. Und die grauenhafte Mischung von Roheit und Leierkastensentimentalität, die schon Richard Dehmel im Kriege so unangenehm aufgefallen ist, offenbart sich auch hier. »Das schwermütige alte Lied, die Bengels singen es immer wieder. Mit einer wahren Hingabe und einem todernsten Ausdruck im Gesicht. Und bei dem ständigen Refrain ›Denn ich bin ja ein Mädchen fürs Geld‹, da ists fast, als kugelten ihnen die dicken Tränen aus den großen Kinderaugen … « Muß ich da noch hinzufügen, dass der Leutnant auf dem Panzerautomobil mit der schwarz-weißen Totenkopfflagge die Abendkühle, die singenden Jungens, die glitzernden Waffen und die weißen Unterröckchen der Mädchen in seine dürstende Künstlersehnsucht trinkt? Er tuts. Und wenn das alles vorbei ist: das Mädchen fürs Geld und die Totenkopf flagge und die Künstlersehnsucht, dann unterhalten sie sich im Kasino über die Zukunft, die neuen Lebensstellungen und das ††† Zivilistwerden … »Ja, wenn aber Noske jetzt weg geht?« – »Himmelherrgottsdonnerwetter – dafür sind wir doch da, dass wir den Mann am Ruder halten; wir kämpfen doch damit für unser eigenstes Interesse, denn so lange wir seine Soldaten sind, haben wir Brot!«

Und mit diesem Bekenntnis einer schönen Seele für den Oberpräsidenten von Hannover mit den roten Fingern wollen wir von den beiden Offiziersbüchern Abschied nehmen.

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 03.02.1921, Nr. 5, S. 134.