Von (kleinen) Nationen und dem Übersetzen als "nation building"

Ein Nachtrag zu Herder

Ich darf mit einem etwas längeren Zitat beginnen. In ihm ist die Rede von einer historischen Zäsur, die

an der Ostsee eine Reihe politischer Formationen entstehen lassen (hat), die mit viel Re­klame und Tamtam ihre Existenzberechtigung und mit allen Fehlern moderner Staats­we­sen ihre Reife im Staatenspiel dartun. Bebürdet mit Administration, überladen mit politischen Verrichtungen, ahmen sie die Gebärden ihrer größeren Brüder aufs unglück­lichste nach, können schon wie jene Kommunist und Gendarm spielen, Anschlußpolitik‚ Minoritätenfrage und womit sich sonst noch so Staaten ihre Zeit vertreiben und die ihrer Zwangsangehörigen nutzlos in Anspruch nehmen.
Nicht, daß diese neuen Gebilde selbständig sind, ist der staatsrechtliche Skandal, sondern wie sie es sind. Es ist, als ob tausend ungehemmte Lokalwichtigmacher frei würden: endlich, endlich dürfen wir auch! Nichts gelernt; nicht gesehen, wie der Staa­tenunfug den Kontinent sicher, aber stetig von einer Katastrophe in die andre reißt, weit entfernt, ein Pan-Europa auch nur zu wünschen, tobt sich das in den schlimmsten Evo­lu­tionen ethosfeindlicher Staatsreligion aus. Man hat den Eindruck, als gäbe es Wa­ren­häu­ser für kleine neue Staaten: alle haben sich wunderschöne Fahnen angeschafft, Militär­uniformen, Titel, Briefmarken, eine uralte Literatur, prima Geschichtsunfälle, Gedenk­tage und – selbstverständlich – einen bösen Feind.
Jeder dieser Staaten hat etwa so viel Einwohner wie zwei europäische Großstädte zu­sammen, mancher nur so viel wie eine – und daß die Angelegenheiten dieser wenigen Leu­te minder wichtig wären als etwa die Interessen Londons, wäre ja töricht zu be­haup­ten. Aber […] die Komik, die darin steckt, daß ein ganzes Land wie eine Zahn­bür­sten­fa­brik inseriert, Reklame trommelt, Statistiken schminkt, piekfeine Protzprospekte auf Glanz­papier drucken läßt, geht ihnen nicht ein. Hier noch der garantiertt unabhängige Staat! Universität! Militär! Schutz des Mittelstandes! Gesundes Trinkwasser! Eigene Na­tio­nal­heilige in der Geschichte! Wie steht bei Walter Mehring? Trete Sie ein! Trete Sie ein! Hier isse gutt! Hier isse fein! Sehr fein sogar.

Aus dem Jahre 1925 stammt dieser höhnische Text auf das nation building, auf die Nationenbildung der „kleinen“ Ostseevölker (der Litauer, Letten, Esten und Finnen), wobei die Ersetzung des englischen building durch das deutsche Bildung schon mitten hineinführen kann in die Diskussion über verschiedene Nationalismus-Konzepte, über Kulturnation und Staatsnation, Weltbürgertum und Nationalstaat, leicht greifbar im Goethe-Schillerschen Zweizeiler von 1796 über den Deutschen Nationalcharakter, als Distichon aus Hexameter und Pentameter antithetisch gefugt:

Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens;
Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus!1
 

Geschrieben hat den eingangs zitierten Ostseevölker-Text Kurt Tucholsky unter der Überschrift Suomi-Finnland.2 Und wer möchte schon behaupten, dass das im 19. Jahr­hundert endemisch werdende, homogenisierende Ineinanderkonstruieren von Sprache, Volk, Kultur, Nation und Staat den Europäern nur Gutes gebracht hätte? Als einer der wirkungsmächtigsten Ideengeber dieser nationalen Bewegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wird immer wieder der aus Mohrungen stammende Geschichts-, Sprach- und Kulturphilosoph, der protestantische Theologe, Schriftsteller und Übersetzer Johann Gottfried Herder (1744-1803) genannt – nicht zu Unrecht, wenn man z.B. auf die Rezeption seiner Werke schaut, etwa seiner zwischen 1782 und 1791 geschriebenen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit oder seiner Volkslieder-Anthologien aus den 70er Jahren. Zahllose „Konstrukteure“ der neuen Nationen, der „erwachenden“ Nationen – meist Philologen und Pastoren, Literaten und Schulmeister – haben sich auf Herder berufen. Das Slawen-Kapi­tel der Ideen wurde schon in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts mehr­fach übersetzt, u.a. ins Polnische und Serbokroatische. Der slowakische Dichter und Volksliedsammler Ján Kollár (1793-1852) verfasste einen Gedichtzyklus, in­dem er das Ideen-Kapitel poetisch paraphrasierte, indem er es übersetzte.3

„Im Geiste Herders“ habe man – so ist es nicht nur bei den „kleinen“ Völ­kern4 im Norden, Osten und Süd­osten Europas zu hören – das eigene Nationalbe­wusstsein entdeckt, entwickelt und gefestigt, habe man sich – wie Tucholsky 1925 spottete – eine „uralte Lite­ratur“ zugelegt, etwa durch das Sammeln von (je Volk) hunderttausenden „Volksliedern“. Dass die literarische Krönung dieser nationalen Konstruktionen in der vermeintlichen Wiederent­de­ckung bzw. Konstruktion eines je eigenen (und nach Möglichkeit uralten) Na­tionalepos bestand, hat allerdings nicht mehr Herder allein zu verantworten, das geht eher auf Humboldts und Hegels Konto und vor allem auf das unseres ger­manistischen Stammvaters Jacob Grimm, wie Jaan Undusk und Thomas Taterka in ihren transnationalen Studien zu den europaweit entstandenen „Nationalepen“ ge­zeigt haben.5 Als Reigen übersetzerischer Handlungen mit dem Ziel der Konstruktion nationaler Gemeinschaften ließe sich dieser Prozess translations­wissenschaftlich beschreiben – und eingebettet ist er im 19. Jahrhundert natür­lich in die Nationsbildungsphase im Gefolge der Napoleonischen Kriege.6

Dass das nationale Denken und Fühlen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Literatur, Malerei, Musik, Architektur und besonders in den Philologien ge­rade bei den „kleineren“ Völkern nach wie vor Anstaunenswertes hervorge­bracht hat, ist unbestreitbar. Aber einem deutschen Kulturwissenschaftler, der weniger die schönen Früchte der Nationalromantiken bestaunen denn im Natio­na­lismus pri­mär dessen fortwirkend destruktives Potenzial fürchten gelernt hat (Stichwort z.B.: Ethnic cleansing), fällt es schwer, in das Lob eines frühlings­haf­ten „nationalen Erwachens“ einzustimmen – und schwer fällt es ihm auch, die besondere Rolle, die in diesem säkularen Erweckungsprozess dem Überset­zen bzw. „translatorischen Handeln“ zugekommen sein könnte, affirma­tiv zu stu­dieren und zu höherem Ruhme der Translationszünfte herauszustreichen.

Eher erleichtert registriert ein solcher, nationalen Aufwallungen betont skeptisch be­gegnender Kulturwissenschaftler, dass man Herder auch anders lesen kann als nur durch die Brille des national Erwachenden oder sich zum Er­wecker berufen Fühlenden,7 auch wenn man ihn (bzw. seine naturgeschicht­li­chen, kulturtheoretischen, universalhistorischen und aktuell-politischen Schrif­ten) nicht gänzlich aus einer Mithaftung für die chauvinistisch-staatswütigen Per­versionen seiner Ideen entlassen möchte.8 Denn das ist das immer wieder Ver­blüffende an Herder, dass man bei ihm eigentlich alles findet – und an­derer­seits nie genau zu sagen vermag, was für ein Denken das eigentlich war, was Her­der eigentlich jeweils genau hat sagen wollen.

Wenn ich gefragt würde, welche Schrift Herders man lesen müsste, um sich mit seinen Grundgedanken und Hauptintentionen in Sachen Kultur, Volk, Na­tion und Übersetzen vertraut zu machen, so wüsst’ ich keine Antwort.9 Er ist ein sol­cher Wirbelkopf, überquellend von Einsichten und Ideen, stets anregend und oft auch verstörend. Seine mehrfach umgearbeiteten oder Fragment geblie­benen Schriften scheinen voller Widersprüche zu stecken. Aber das macht den Reiz der wiederholten Herder-Lektüren aus: Er stellt das eigene Denken nicht still, er er­muntert, ja er zwingt seinen Leser, vermeintlich vertraute Dinge neu und weiter zu durchdenken.10

So hab ich in manchen Diskussionen den Vorwurf gehört, dass Herders Aussagen über Ethnien, Völker und Nationen essentialistisch seien, dass er die einzel­nen Kulturen sich wie Kugeln auf einem Billardtisch vorgestellt habe, jede kullert da für sich, in sich ruhend, in sich geschlossen, nur aus Eigenem geformt: „Jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich wie jede Kugel ihren Schwerpunkt,“ so steht es in der Tat in seiner (gegen das gar zu zukunftsfroh argumentierende rationalistische Aufklärungsdenken gerichteten) Streitschrift Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit von 1774, dem Vorläufer seines Ideen-Buches.11 Aber wenn ich in dieser Schrift des damals 29-jährigen weiterlese, dann bemerke ich, dass Herders Beharren auf der (durch Klima, Geographie, Geschichte usw. bedingten) Einzigartigkeit einzelner Völker und Kulturen primär defensiv gerichtet ist. Es geht ihm darum, die Bes­serwisserei der europäischen (der englischen und französischen) Gelehrten zu­rück­zuweisen, deren Methode, alle Weltereignisse nur durch ihre west­euro­päische Aufklärungs- und Fortschrittsbrille zu betrachten und zu bewerten. Dass der europäische Blick auf die Welt arg beschränkt ist, hat er vielmals in mitunter auch drastischen Formulierungen beklagt. Gern zitiert wird sein Hinweis aus dem Afrika-Kapitel der Ideen, wonach wir „kaum die Küsten des Landes ken­nen, und auch diese oft nicht weiter, als die europäischen Kanonen reichen.“12 Herder lehnt das Vergleichen von Kulturen und Völkern ab, wenn zur Messlatte dieses Vergleichens ständig der aktuelle westeuropäische Entwicklungsstand genommen wird. Er exemplifi­ziert das schon 1774 u.a. an jenen Bildern, die sich die Europäer über den Orient erdichten. Statt zu versu­chen, die Kulturen des Orients in ihrer geschichtlichen Gesamt­entwicklung zu studieren, haben wir uns „einen Despotismus des Orients […] abgesondert.“ „Aus unserem Zustande,“ „nach unseren europäischen Begriffen (und vielleicht Gefühlen)“, „träumen“ wir uns ein Zerrbild der fremden Kultur. In der aufgeklärten, „philosophischen, kal­ten europäischen Welt“ bleiben wir „unfähig […] sie zu verstehen! zu fühlen! geschweige denn zu genießen – so spotten wir, leugnen und mißdeuten!“13 Was Edward Said in seinem Orientalis­mus-Konzept breit entfaltet hat, es ist von Herder bereits beobachtet und in kriti­sches Licht gerückt worden. Das Licht der Aufklärung wird in ein anderes Licht getaucht. Von „Dialektik der Aufklärung“ könnte man sprechen. Dieses andere, Herder’sche Licht nur als das eines durch und durch christlich geprägten Den­kens zu verstehen, scheint mir auch wieder zu einseitig gedacht.14

Seine in kulturtheoretischem Kontext gebrauchte Kugel-Metapher hindert ihn nicht, in stärker kulturhistorisch ausgerichteten Passagen der Schrift auf die wechselseitigen Einflüsse, die „Verschmelzungen“ und „Vermischungen“ von Kulturen und Nationen zu verweisen und solches Ineinander verschiedener Kulturen als „einziges Mittel der Progression“ zu bezeichnen.15 Zum Beispiel charakterisiert Herder das europäische Mittelalter, das seine aufgeklärteren, Licht bringenden Zeitgenossen als dunkle Zeit verachteten, als (durchaus auch positiv zu bewertendes) Ergebnis einer „Völkerverbindung“, eines gewaltigen Durchmischungs­prozesses:16

Väterliche Neigungen und heilige Verehrung des weiblichen Geschlechts: unauslösch­li­che Freiheitsliebe und Despotismus: Religion und kriegerischer Geist: pünktliche Ord­nung und sonderbarer Hang zur Aventure – das floß zusammen! orientalische, römische, nordische, sarazenische Begriffe und Neigungen!

 Vermischen, Verschmelzen, Zusammenfließen, Gären – als regelrechten und gar nicht so übel schmeckenden Brei schildert Herder ein ganzes Jahrtausend euro­päischer Kultur- und Völkergeschichte. Neben die Völker = Kugeln-Metapher setzt Herder mit seiner Vorliebe für „Analogien in der Natur“,17 für Vegeta­tions­metaphern, ein zweites Bild, das Bild der Menschheit und ihrer Kulturen als das eines Baumes: „Eben das Nicht-Eine, das Verwirrte, der reiche Überfluß von Ästen und Zweigen; das macht seine Natur!“18 Auch das klingt nicht nach einem die eigene Gruppe heraushebenden, nationalistischen Denken. Herders Unter­scheidungen, auch seine Abgrenzungen, bedeuten keine Abwertung des anderen. Die ab und an noch zu hörende Formel „Von Herder zu Hitler“ ist töricht.

Die berühmteste Metapher, aus der sich Herders Denken und Schreiben über Kulturen speist, ist die der Lebensalter, also die Analogiebildung zwischen historischen Phasen ein­zelner Kulturen und unseren Lebensabschnitten: Geburt, Kindheit, Jugend, Mannesalter, Greisenzeit, Tod – alles hat seine Zeit. Ins Konstruktivistische ge­wendet, wird heute vom Narrativ der „vorgestellten“ Gemeinschaft gesprochen, manchmal sogar von ihrer „Biographie“.19 Auch hier freilich sind die Widersprü­che mit Händen zu greifen: Herder will zwar keine Rangfolge unter den Natio­nen akzeptieren, aber führt nicht die Aussage, dass sich jene Kultur noch auf der Stufe des Kindes bewegt, die andere aber schon auf der des reifen Mannesalters, unausweichlich zu einer Hierarchie? Hat die „reifere“ Kultur dann nicht das Recht oder sogar die Pflicht, der noch unmündigen den Weg in die Zukunft, in den nächsten Lebensabschnitt zu weisen, ihm Vormund oder Protektor zu sein? Aber dann stößt man – in den Humanitätsbriefen – auf ein weiteres Bild, mit dem Herder den Anspruch abwehrt, eine bestimmte Kultur müsse zum „Prototy­pen“ aller anderen erhoben werden: Jede – ob groß oder klein, jung oder alt, gebildet oder un­gebildet – müsse im „Geist der Anerken­nung“ ohne „Rangordnung“ betrachtet werden. Der Cherokese müsse ebenso als „ein Buchstab im großen Wort unsres Geschlechts“ genom­men werden wie der „gebildetste Engländer und Fran­zose“20 – und dieses Wort heißt Humanität. Die einzelnen Kulturen sind verschie­den wie die Buchstaben dieses Wortes. Aber jeder Buchstabe hat glei­ches Recht, jeder ist an seinem Platz und in seiner Ge­stalt notwendig, damit das Wort als Ganzes sich bildet und lesbar wird. Den Sinn des Wortes, der Buchsta­benfolge, kann ich nur erfassen, wenn ich jeden Buchstaben an seiner Stelle be­lasse und verstehe.21

Gegen die Analogien des Kulturphilosophen Herder sind Einwände erho­ben worden, zuerst von Kant in seiner Rezension der Ideen. Doch schon die Vielzahl der von Herder benutzten Analogien lässt erkennen, dass sie nicht dogmatisch gesetzt werden, sondern als Denkangebote, als heuristische Metaphern. Sie sind offen für Erweiterung, für Suche nach weiteren Bildern, nach neuem Denken. Wir dürfen uns durch eine einzelne Metapher das eigene Weiterdenken nicht verkleben lassen. Zumal Herders Texte häufig Fragmente sind, angewiesen auf Ergänzung, Fortführung, Revision durch den Autor selbst wie durch seinen mit- und selberdenkenden Leser.

Jenen, die im „Geiste Herders“ nur ihr Eigenes noch sammeln und es für das Vorzüglichste überhaupt ringsum halten, lässt sich ein Passus aus Herders Briefen zur Beförderung der Humanität entgegenhalten, ihrer bei Hartknoch in Riga 1797 erschienenen Neunten Sammlung:22

Der Nationalruhm ist ein täuschender Verführer. Zuerst lockt er und muntert auf; hat er eine gewisse Höhe erreicht, so umklammert er den Kopf mit einer ehernen Binde. Der Umschlossene sieht im Nebel nichts als sein eigenes Bild, keiner fremden neuen Eindrücke mehr fähig. Behüte der Himmel uns vor solchem Nationalruhm […].

Nationales und universales, weltbürgerliches Denken entfalten sich bei Herder in erstaunlicher Wechselbeziehung. Es gibt bei ihm nicht jene Kontraktion auf das Eigene, die Heinrich Heine 1833, ein Jahr nach dem Hambacher Fest, als „Patriotismus des Deutschen“ geschildert hat, der darin besteht, „daß sein Herz enger wird, daß es sich zusammenzieht wie Leder in der Kälte, daß er das Fremdländische haßt, daß er nicht mehr Weltbürger, nicht mehr Europäer, son­dern nur ein enger Deutscher sein will.“23 Ein solcher Patriot war Herder nach Heines Urteil nicht:24

Nein, Herder betrachtete die ganze Menschheit als eine große Harfe in der Hand des großen Meisters, jedes Volk dünkte ihm eine besonders gestimmte Saite dieser Rie­sen­harfe, und er begriff die Universal-Harmonie ihrer verschiedenen Klänge.

Für Heines Urteil lassen sich aus Herders Schriften zahlreiche Belege beibrin­gen, etwa jene Passagen, in denen deutlich wird, dass er mit „Nationallied“ kei­neswegs „Nationalhymnen“ meint, sondern „Volkslieder“, oder jenes 1794 pub­lizierte Kapitel aus den Humanitätsbriefen über „Wahn und Wahnsinn der Men­schen“, in dem es u.a. heißt:25 

Nationalwahn ist ein furchtbarer Name. Was in einer Nation einmal Wurzel gefaßt hat, was ein Volk anerkennet und hochhält; wie sollte das nicht Wahrheit seyn? wer würde daran nur zweifeln? Sprache, Gesetze, Erziehung, tägliche Lebensweise – alle bevesti­gen es, alle weisen darauf hin; wer nicht mitwähnet, ist ein Idiot, ein Feind, ein Ketzer, ein Fremdling. Gereicht überdem, wie es gewöhnlich ist, der Wahn zur Bequemlichkeit ei­ni­ger, der geehrtesten, oder wohl gar, dem Wahn nach, zum Nutzen aller Stände; ha­ben ihn die Dichter besungen, die Philosophen demonstrirt, ist er vom Munde des Ge­rüchts als Ruhm der Nation ausposaunt worden; wer wird ihm widersprechen wollen? wer nicht lieber aus Höflichkeit mitwähnen? Selbst durch lose Zweifel des Gegenwahns wird ein angenommener Wahn nur bevestigt. Die Charaktere verschiedener Völker, Sek­ten, Stände und Menschen stoßen gegen einander; eben destomehr setzt jeder sich auf seinem Mittelpunkt vest. Der Wahn wird ein Nationalschild, ein Standeswappen, eine Gewerksfahne.

Was richtet der Nationalwahn mit den Menschen an? Er verwandelt „unsre Erde“ in ein „Irrenhaus, und unsre Geschichte [in] ein Krankenregister.“26 Was tun also mit Herder beim Thema Übersetzen und nation bulding? War das über­haupt sein Thema, wenn er auf die Entwicklungsmöglichkeiten der deutschen Literatur und der (übersetzten oder noch zu übersetzenden) Literaturen der ande­ren schaute? Oder ging es ihm nicht eher um world building, um eine „Univer­sal­geschichte der Bildung der Welt“? Dieses Werk zu schreiben nahm sich in sei­nem Journal meiner Reise im Jahr 1769 bereits der 24-jährige nach dem Auf­bruch von Riga zur Lebensaufgabe. Von ihr hat er als Universal-Kulturhisto­riker wie als weltoffener Übersetzer nicht lassen können bis zu seinem Tode, 1803 in Weimar.

* * *

Einen ausschließlich Translationsfragen gewidmeten Text hat Herder nicht geschrieben. Seine Überlegungen zum Thema Übersetzen sind durch vier Jahrzehnte über viele Aufsätze, Buchbesprechungen, Vor- und Nachworte sowie Fußnoten verstreut.27 Eine kohärente und an aktuelle Lieblingsforschungsthe­men der Translationswissenschaft anschlussfähige „Theorie“ ist aus seinen Äußerungen nicht zu gewinnen. Dennoch markieren Herders Überle­gungen – wie auch seine eigene sehr umfangreiche Übersetzungspraxis – einen deut­lichen Wen­depunkt in der Geschichte des literarischen Übersetzens. Zugleich sind sie eng verknüpft mit jener um 1770 einsetzenden Literaturrevolution, die nicht nur in Deutschland bis heute das Verständnis von Literatur und Autorschaft prägt. Kurz gesagt geht es um die Überwindung der Regelpoetik und die Etablierung des Kriteriums der Originalität und Individualität als oberstem ästhetischen Wert. Der Künstler soll nicht bereits Vorhandenes nachahmen, sondern etwas Eigenes, etwas je individuell Empfundenes und Entdecktes auf einzigartige Weise darstellen.28

Was aber wurde von deutschen Autoren in den Jugendtagen Herders nachgeahmt, was waren die Muster, an denen sie sich schulten? Es war die griechische und die sie nachahmende römische und die diese wiederum nachahmende französische Dichtung. Es war eine Zeit, in der deutsche Dichter „auf einem hölzernen Hackbrett von Alexandrinern, gereimten Jamben, Trochäen, allenfalls Daktylen, wohlmeinend, treufleißig und unermeßlich (klimperten).“29 Wie aber konnte das Publikum überzeugt werden, dass Literatur noch anderes zu leisten vermag, als sklavische Nachahmung der antik-klassischen bzw. französisch-klassizistischen normativen Muster? Indem man auf andere Literaturen verwies. So „sey doch die Klei­nigkeit mein,“ heißt es bei Herder Ende der 60er Jahre,

daß wir unsre Litteratur nicht edler und ursprünglicher bereichern, als wenn wir die Gedankenschätze eines Volks erbeuten, das keine Sklavin und keine Kolonie der Griechi­schen Litteratur gewesen, daß ein Ossian gegen Homer, und ein Skalde gegen Pindar gestellt, keine unebne Figur mache, daß wenn durch ein wohlthätiges Erdbeben die Ara­bischen Leichname des Eskurials belebt aus ihren Gräbern hervorgingen, wir eine Welt originaler Menschen um uns sehen müssten […]30

Um diese neue Welt „originaler Menschen“ sichtbar zu machen, auf die Herder vorzüglich in Reiseberichten, in „Nachrichten von Arabern und Schotten, von Amerikanern [= Indianern; afk] und Skandinaviern, von Chinesen und Grönländern“31 gestoßen war, um nachvollziehbar zu machen, dass – wie Lessing bereits 1759 im 33. Literaturbrief formuliert hatte – „unter jedem Himmelsstriche Dichter geboren werden, und daß lebhafte Empfindungen kein Vorrecht gesitte­ter Völker sind“32 – um das zu erreichen, brauchte man Übersetzungen. Überset­zungen freilich, die das Original-Fremdartige der Vorlagen im Deutschen wei­terhin erkennen ließen, indem vor allem für ihren jeweils individuellen „Ton“ überzeugende Entsprechungen gefunden wurden. Herders Oßian-Aufsatz von 1773, dieses Grunddokument der Sturm-und-Drang-Bewegung, bezieht seine argumentative Wucht und polemische Schärfe gerade aus der Auseinanderset­zung mit Übersetzern, die diese Methode der Bewahrung des Original-Fremdar­tigen, seines „Tons“, nicht anwandten sondern das eben neu entdeckte Fremde durch die Art ihres Übersetzens wie ein in Deutschland längst Vertrautes er­scheinen ließen.

Dass die Bekämpfung der Nachahmungspoetik sich immer wieder der Nachahmungen bediente (denn das zumindest sind Übersetzungen doch!), ist eine der Paradoxien, auf die man bei Herder stößt. Den Widerspruch löst der junge Herder, indem er zum einen die Forderung erhebt, dass der Übersetzer selbst ein „schöpferisches Genie seyn“ müsse,33 woraus wiederum folgt, dass Herder sich für bestimmte Texte, etwa für Shakespeare-Lieder, nur Dichter als Übersetzer vorstellen kann.34 Zum anderen ersetzt er das Konzept des Nachah­mens durch das des Nacheiferns und spricht vom „kopierenden Original, wo keine Kopie sichtbar ist, wo man sich an einem […] Nationalautor35 zum Schrift­steller seiner Nation und Sprache schaffet: wer dies ist, der schreibt für seine Literatur.“36

Zwanzig Jahre später, in der 1796 in Riga erschienenen 8. Sammlung seiner Humanitätsbriefe findet sich dann allerdings eine kulturge­schichtliche Rechtfer­tigung der Nachahmung („weil wir so spät kamen, ahmten wir nach; denn wir fanden viel Vortreffliches nachzuahmen […] Die Originalformen waren alle verbraucht und vergeben“), ja sogar ein kräftiges Lob der Nachahmer, „die ihre Nation mit vortreflichen Denkweisen mehrerer Geister und Völker bereichert (haben)“ – mündend in eine neue Analogie: „Die Ananas, die tausend feine Ge­würze in ihrem Geschmack vereint, trägt nicht um­sonst eine Krone.“37

Es ist etwas vertrackt, dass man Herders verstreute Äußerungen zum Thema Übersetzen sowohl als eine auf größtmögliche tonbewahrende „Treue“ gegen­über dem Original ausgerichtete Translationspoetik lesen kann,38 aber zugleich auch als Be­lege dafür, dass Treue keineswegs stets das oberste Krite­rium des Übersetzers sein muss. Am deutlichsten wurde mir das bei der erneuten Beschäftigung mit seinen 1795/96 veröffentlichten, heute weithin vergessenen Jakob Balde-Übersetzungen. Drei Bände mit fast 800 Druckseiten hat Herder dem 1604 in Ensisheim im Elsass geborenen, dann nach Bayern geflüchteten neulateinischen Dichter und Jesuiten gewidmet, hunderte seiner Gedichte hat er ins Deutsche gebracht und ihn als „patriotischen Dichter“ gerühmt.39 Schon ein flüchtiger Vergleich mit Baldes lateinischen Vorla­gen zeigt allerdings, dass Herder diese Texte (bei entschiedener Treue zur Form, zu den sehr komplex strukturierten antiken Odenmaßen, in denen Balde gedichtet hat) radikal ent-ba­rockisiert und „verjüngt“ hat, ihn auf seine eigene Zeit hin aktualisiert hat. Über den „Zweck“ seiner Balde-Übersetzungen schreibt Herder in seiner „Rechen­schaft des Uebersetzers“: 40

Mir bleibt übrig, als Uebersetzer vom Zweck meiner Arbeit Rechenschaft zu geben, damit niemand bei ihr etwas anders suche, als er findet. Nichts weniger nämlich war meine Absicht, als den ganzen Balde, wie er dasteht, zu geben; wer ihn also will, für den stehet er noch unübersetzt da. Mir geziemte es, weder seiner politischen noch kirchli­chen Lage, am wenigsten seinem Geschmack in Allem nachzugehen […] Will man ihn in dieser Gestalt nicht einen übersetzten Balde nennen, so nenne man ihn einen ver­jüngten Balde und übersetze ihn selbst. […] Es giebt mancherlei Arten der Ueberset­zungen, nachdem der Schriftsteller ist, den man bearbeitet und der Zweck, zu welchem man ihn darstellt. 

August Wilhelm Schlegel hat dieses Vorgehen eingeleuchtet. In seiner umfang­reichen Be­sprechung der Herder’schen Balde-Texte hebt er hervor, „daß Treue und Genauigkeit der Uebertragung hier nicht Maßstab der Würdigung sein kann.“ Denn: „Gedichte, von deren Dasein bei weitem die meisten Leser erst durch die Verdeutschung unterrichtet werden […] gelten für neue. Alle mit ih­nen vorgenommenen Umbildungen, wodurch sie gewannen, sind nicht nur er­laubt, sondern willkommen. Wer sie in einer gelehrten Absicht kennen lernen will, kann und muss sie in der Ursprache lesen.“41 So August Wilhelm Schlegel – ein kla­res Plädoyer gegen eine ausschließlich am „Original“ orientierte Be­schäftigung mit Übersetzungen.

Noch etwas scheint mir bemerkenswert: Dass Her­der zur Nationalliteratur Deutschlands offenkundig auch Texte gezählt hat, die gar nicht auf Deutsch geschrieben sind. Die Gleichsetzung Sprache – Kultur – Volk – Nation, sie geht bei ihm nicht ganz so glatt auf. Die Vorstellung eines sprachlich bzw. ethnisch homogenisierten Staates, wie sie viele Natio­nalismen des 19., 20. und offenkun­dig auch noch des 21. Jahrhunderts propagie­ren (und von der auch die meisten Nationalismus­theo­rien handeln), darf sich nur bedingt auf Herder berufen, denn Nation und Staat sind für ihn strikt geschieden. Nationen sind ihm wie Fa­milien, Stämme und Völker von der Natur (bzw. der „Vorsehung“) selbst vorge­geben, sind „Verhältnisse der Natur“. Das gilt indes nicht für „Regenten und Staaten“. Staaten charakterisiert er als unempfindliche Maschi­nen, aber

Millionen des Erdballs leben ohne Staaten, und muß nicht ein jeder von uns auch im künstlichsten [= entwickelsten, „fortschrittlichsten“; afk] Staat, wenn er glücklich sein will, es eben da anfangen, wo es der Wilde anfängt, nämlich daß er Gesundheit und See­lenkräfte, das Glück seines Hauses und Herzens, nicht vom Staat, sondern von sich selbst erringe und erhalte? Vater und Mut­ter, Mann und Weib, Kind und Bruder, Freund und Mensch – das sind Verhältnisse der Natur, durch die wir glücklich werden; was der Staat uns geben kann, sind Kunstwerk­zeuge, leider aber kann er uns etwas weit Wesent­licheres, uns selbst, rauben.42

 * * *

 Am Ende seines Kapitels über die „kulturellen Wurzeln“ des Nationalismus weist Benedict Anderson auf Gutenberg hin und welch immense Bedeutung des­sen Erfindung des Buchdrucks für die Entstehung der modernen Nationen, der „vorgestellten“ bzw. „imaginierten“ „Gemeinschaften“ gehabt habe. Das Druckgewerbe nämlich soll es immer mehr Menschen ermöglicht haben, „auf grundlegend neue Weise über sich selbst nachzudenken und sich auf andere zu beziehen.“43 Thomas Taterka hat diesen Anderson’schen Grundgedanken von der Nation als „kommunikativ gestifteter und kommunikativ auch erhaltener Einheit“ in seinem Aufsatz über Epische Völker aufgegriffen. Ob man die Na­tion als „Gemeinschaft von säkularisierten Gläubigen verstehen müsse“, lässt er dahingestellt, aber als „imaginierte Gemeinschaft von Lesern“ müsse man sie sich unbedingt denken. Daraus folgt für ihn, dass die „Etablierung der Nation“ ein „textbedürftiger Vorgang“ sein müsse, dass die Nation „textgestützt und textgeschützt“ sei, möglicherweise sogar „tatsächlich textgeboren“.44

Woher aber kommt jener Text, aus dem die Nation „geboren“ wird? Und welche Rolle spielt beim Finden, Konstruieren, Verbreiten dieser nationenge­bärenden Texte die Translation? – und das insbesondere bei Völkern, die keine „staatsge­zeugten und scheinbar selbstverständlichen Nationen [sind] wie etwa Frankreich oder England“?45 Julija Boguna hat diesen Zusammenhang zwi­schen Transla­tion und Entstehung der Nation als Gemeinschaft von Lesern in ihrer Disserta­tion am Beispiel Lettlands genauer untersucht.46 Und aus Riga und Tartu könn­ten weitere Aufschlüsse kommen über den Konnex zwischen imagi­nierten Ge­meinschaften, Textproduktion und Translation.47 An „gute Partikularge­schichten“ solle man sich beim Studium halten, hat Herder einmal empfohlen:48

Im Besonderen und Einzelnen ist überall die beste, nahrhafteste und bestimmteste Be­lehrung. Im Allgemeinen sowohl der Philosophie, als Geschichte fliegen nur die Him­mels­vögel; auf der Erde aber wächst Heil; aus dem Staube quillt Leben.

 Gerade in den leichter zu überschauenden (aber nicht weniger komplexen) Partikulargeschichten, in den Geschichten „kleiner“ Völker, können sich aus dem Zusammenlesen von Nationalismusfor­schung, Literatur-/Kulturwissenschaft und Translationswissenschaft neue Einsichten er­geben – man muss nur das rechte Material für diese Detailstudien finden – rund um die Ostsee scheint es das für die „Nationalepen“ (und nicht nur für diese) reichlich zu geben.

Ein paar Anmerkungen und Fragen zu diesem vielversprechenden Forschungsfeld seien angefügt: Es ist vermutlich für jeden überzeugten Philologen verführerisch, seine eigenen Gegenstände in so prominentes Licht gerückt zu sehen, wie es dank Anderson in unserem Kontext möglich ist. Aber ist die Eng­führung des Gutenberg-Effekts auf den Bereich der Literatur, der Belletristik haltbar? Die Bedeutung der Epen für die nationalen Bewegungen, für die Erzeu­gung oder Kräftigung von Nationalbewusstsein im Europa des 19. Jahr­hunderts soll nicht bestritten werden, schon gar nicht für die Ostseean­rainer-Völker, von denen alle ein solches Epos vorweisen können – außer den Liven, deren nation building über Hymne und Fahne (grün, weiß, blau) noch nicht hinausgelangt ist. Aber dennoch: Lässt sich die „Geburt“, die Entstehung bzw. Konstruktion z.B. der finnischen Nation primär auf die 22.795 Verse des Kalevala-Epos zurückführen? Warum wird dann Runeberg (1804-1877), ein schwedischsprachiger Zeitgenosse des Kalevala-Kompilators Elias Lönnrot (1802-1884), als National­ichter Finnlands verehrt, im 19. Jahrhundert und heute auch noch? Und waren nicht für die Entstehung eines Zusammengehörig­keitsgefühls der imaginierten Gemeinschaften Zeitungen viel wichtiger als die Belletristik? Für Finnland müsste man da bei Snellman (1806-1881) und seinen Zeitungsprojekten nachschauen, die zeitgleich mit den Kalevala-Ausgaben an die Öffentlichkeit gelangten.49 Anderson zitiert das Hegel zugesprochene Bonmot, wonach „dem modernen Menschen die Zeitung als Ersatz für das Morgengebet dient.“ Die Zeitungslektüre werde zwar im Privaten vollzogen, fährt Anderson fort, aber

jedem Leser ist bewußt, daß seine Zeremonie gleichzeitig von Tausenden (oder Millio­nen) anderer vollzogen wird, von deren Existenz er überzeugt ist, von deren Identität er jedoch keine Ahnung hat. Darüber hinaus wird diese Zeremonie unablässig über das ganze Jahr hinweg in täglichen oder halbtäglichen Intervallen wiederholt. Kann man sich ein anschaulicheres Bild für die säkularisierte, historisch gebundene und vorge­stellte Gemeinschaft denken?50

Auch hier eine Nachfrage mit Blick auf die kleinen Völker: Die das nationale Projekt vorantreibenden Periodika hatten in Finnland eine Auflage von 500 bis maximal 700 Exemplaren, bei im Jahre 1830 1,3 Millionen bzw. 1,7 Millionen Einwohnern im Jahre 1860. Sehr „imaginiert“ dürfte diese Lese-Gemeinschaft nicht gewesen sein: man hatte dieselben Schulen besucht, dieselbe Universität, war Nachbar am selben Ort, traf sich im selben Literaten- und Gelehrtenzirkel, um der Nation ihre Grundtexte zu schreiben, die wiederum in 500 bis 700 Exemplaren ins Land gingen … Also: diejenigen, die die imaginierte Nation schufen, waren selbst keine imaginierte Gemeinschaft. Wie hat man sich das vorzustellen, dass aus den 500 oder 700 national Inspirierten plötzlich eine Gemeinschaft von 1,3 oder 1,7 Millionen wird? Wann und wie kommt es zu diesem Quantensprung? Durch Lesen von 22.795 Versen? Das soll der Kitt (gewesen) sein, der 1,7 Millionen Menschen zusammenhält?

Noch anders gewendet: Sind es wirklich die Bücher und die Zeitungen, aus deren Konsum sich die imaginierten Gemeinschaften der (modernen, neuzeitlichen) Nationen bilden? Oder ist es nicht eher ein ganzes Bündel von Faktoren, die eine große Menschengruppe sich zusammengehörig, als Nation empfinden lässt, Faktoren, die mit Gutenberg nur mittelbar zu tun haben. Wie hieß es bei Tucholsky unter der Überschrift Suomi Finnland: Die neuen Nationen haben sich „wunderschöne Fahnen angeschafft, Militäruniformen, Titel, Briefmarken, eine uralte Literatur, prima Geschichtsunfälle, Gedenktage und – selbstverständlich – einen bösen Feind.“ In Finnland legte man sich im 19. Jahrhundert in der Tat nicht nur eine vermeintlich „uralte Literatur“ zu (besagtes Kalevala), sondern auch eine wunderschöne Fahne; man bekam – unter russischer Herr­schaft wohlgemerkt – eine eigene Währung (die Markka) und eigene Briefmar­ken, man hatte ein eigenes Rechts- und Wirtschaftssystem, man beschrieb (erst­mals in finnischer Sprache) Höhe- und Tiefpunkte der eigenen Geschichte, man diskutierte 1866/68 in Zeitungen, wie die schlimme Hungers­not überwunden werden kann – und man hatte einen mächtigen Nachbarn, der anders war als man selber, anders sprach, anders aussah, sich anders benahm ... Könnte es nicht dieser Nachbar sein, der am nachhaltigsten dazu beigetragen hat, dass die Finnen (unabhängig von ihrer finnischen oder schwedischen Muttersprache) sich als zusammengehörige Gemeinschaft, als Nation, empfinden? Selbst heute noch, wo man nach bitteren Erfahrungen gelernt hat, dass dieser übermächtige Nachbar wohl nie verschwinden wird und man deshalb gut daran tut, sich freundlich ihm gegenüber zu verhalten.

Noch problematischer wird für mich die These von der textgeborenen Nation, wenn wir das epische 19. Jahrhundert verlassen und uns neuere Beispiele anschauen, etwa die Ent­stehung eines spezifisch palästinensischen Nationalbe­wusstseins. Ist das darauf zurückzuführen, dass man in Hebron, Ramallah und Gaza dieselben Zeitungen liest und dieselben Fernsehsendungen anschaut? Oder nicht doch eher darauf, dass jene Araber, die sich inzwischen als Palästinenser bezeichnen, seit gut hun­dert Jahren von zugewanderten Nachbarn kollektiv nicht eben freundlich behan­delt werden, worüber allerdings Zeitungen und Fernsehen Tag für Tag berichten?

„Schicksalsnation“ klingt scheußlich und sehr nach Gestern, ich weiß es. Aber so ganz bin ich noch nicht überzeugt, dass das hinter diesem Un-Wort ver­borgene und wohl leicht angestaubte Konzept der neuen Idee von der text- und translationsgeborenen bzw. -konstruiertenNation wirklich unterlegen ist.51 Er­nest Renan hat es 1882 an der Sorbonne so formuliert (in anderen Worten natür­lich!): „Gemeinsam gelitten, gejubelt, gehofft haben“ – das mache die Nation aus52 – sei es in Hungersnöten oder in Kriegen oder halt (wie wir inzwischen – zumindest für unseren privilegierten Winkel der Welt – erleichtert hinzufügen dürfen) im Fußballstadion oder beim Eurovisions-Wettbewerb um möglichst viele douze points

Noch eine interessante Passage findet sich bei Renan, eine Analogie, die auch von Herder stammen könnte, wenn dort statt von Zivilisation von Humanität die Rede ginge:

Mit ihren verschiedenen, einander oft entgegengesetzten Fähigkeiten dienen die Nationen dem gemeinsamen Werk der Zivilisation. Alle tragen eine Note zu dem großen Konzert der Menschheit bei, das als ganzes die höchste ideale Realität ist, die wir erreichen können.53

 * * *

Erst die Erwähnung des Eurovisionswettsingens hat mich auf den Gedanken gebracht, dass wir vielleicht immerzu aneinander vorbeireden, wenn wir Herders Texte zum Thema Nation durch die Brille der von Historikern geschriebenen Nationalismus-Literatur zu lesen versuchen. Denn im Eurovisions-Wettbewerb geht es ja gar nicht um Nationen, sondern dort geht es um Staaten. Nicht eine baskische oder schlesische oder schottische oder tschetschenische Sängerin vertritt bei diesem Wettbewerb ihre jeweilige „Nation“, sondern Vertreter von Staaten treffen aufeinander. Übrigens sind auch in den Vereinten Nationen – wie zuvor schon im Völkerbund – nicht einzelne Nationen oder Völker Mitglieder, sondern es sind ausschließlich Staaten. Vereinte Staaten müsste die Organisation eigentlich heißen. Umgekehrt nehmen wir die Bürger der Vereinigten Staaten als Angehörige einer einzigen Nation wahr, als US-Amerikaner.

Auch den Nationalismus-Historikern mit ihrer einstudierten Fixierung auf Staatsaktionen und staatengebärende bzw. -verschlingende Ereignisse (1815, 1848, 1870, 1918, 1944/45, 1989/91 usw.) scheint es um Nationen nur zu gehen, wenn diese sich irgendwann zu Staaten gemausert haben. In den Typologien und Periodisierungen der „Nationsbildungsphasen“ geht es bei Licht betrachtet eher um „Staatsbildungsphasen“. Analysiert wird weniger die Konstruktion von Nationalbewusstsein als die von Staatsbewusstsein. Das englische nation mit deutsch Nation zu übersetzen, ist in vielen Kontexten offenkundig ein falscher Freund. Über nation building etwa sprechen wir in der Regel weniger mit Blick auf das Wohl und Wehe einer bestimmten Nation – etwa der Kurden im Irak oder der Paschtunen in Afghanistan, sondern mit Blick auf den Aufbau einer funktionierenden Regierung und Verwaltung für die Staaten Irak bzw. Afghanistan – Staaten sollen „gebildet“, sollen vor Instabilität und Auseinanderfallen bewahrt werden.

Für Herder allerdings hatten Nationen und Staaten nicht sehr viel miteinander zu tun. Dass man in Europa einst reihenweise Nationalstaaten gründen würde, in denen jeweils nur eine Nation als Bewohner – als Staatsnation – erwünscht war bzw. ist, das mag jenseits seiner Vorstellungskraft gelegen haben. Aber genau diesen Prozess von Inklusion und Exklusion und sprachlicher oder ethnischer oder sozialer Homogenisierung innerhalb abgegrenzter Territorien analysiert die moderne Nationalismusforschung. Ihr geht es – vereinfacht gesagt – mehr um Nationalhymnen als um Volkslieder, mehr um Fahnen als um die von Generation zu Generation vererbten Stickmuster auf Hochzeitskleidern oder Totenhemden, mehr um verfassunggebende Versammlungen als um Mittsommerfeste.

Nochmals: Um Staaten, um „Nationalstaaten“ gar, ging es Herder nicht, wenn er über die Geschichte und Zukunft von Nationen nachdachte und schrieb. Aber als Visionär nationalstaatlichen Denkens ist er gelesen, missverstanden und vereinnahmt worden. Es ist an der Zeit, ihn noch einmal zu lesen. Sein Bemühen war es, die unterschiedlichen Noten bzw. Töne des großen Menschheits-Konzerts hörbar, verstehbar zu machen – u.a. durch Übersetzungen bzw. durch „kopierende Originale“. Denn die verschiedenen Literaturen 

der Völker und Zeiten gegen einander zu stellen, giebt ein lehrreiches Vergnügen. In dieser Galerie verschiedner Denkarten, Anstrebungen und Wünsche lernen wir Zeiten und Nationen gewiss tiefer kennen als auf dem täuschenden trostlosen Wege ihrer poli­tischen und Kriegsgeschichte. In dieser sehen wir sel­ten mehr von einem Volke, als wie es sich regieren und tödten ließ; in jener ler­nen wir, wie es dachte, was es wünschte und wollte, wie es sich erfreute.54

Translation als Entdeckung – nicht als Eroberung, Übersetzen weniger als Mittel zum nation und state building denn zur Schaffung eines besonders gegenüber Imperien kritischen Weltbürgertums, so lässt sich Herders Programm heute verstehen. Und ist es so, dass dieses Programm translatorisch wie translationswissenschaftlich bereits vollzählig abgearbeitet wäre?

 

1 Goethe (1981): Werke. Bd. I. Gedichte und Epen I. Hg. von Erich Trunz. (Hamburger Aus­ga­be). 12. Aufl. München: Beck, S. 212.

2 Tucholsky, Kurt (1925): „Suomi-Finnland“. In: Gesammelte Werke. Hg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Bd. 4: 1925-1926. Reinbek: Rowohlt 1989, S. 159.

3 Vgl. Drews, Peter (1990): Herder und die Slaven. Materialien zur Wirkungsgeschichte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. München: Sagner; Namowicz, Tadeusz (1994): „Herder und die slawisch-osteuropäische Kultur“. In: Bollacher, Martin (Hg.): Johann Gottfried Herder. Ge­schichte und Kultur. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 341-356; Cvrkal, Ivan (1996): „Nation, Sprache, Kultur und Humanität – Herder in der Slowakei“. In: Otto, Regine (Hg.): Nationen und Kulturen. Zum 250. Geburtstag Johann Gottfried Herders. Würzburg: Kö­nigshausen & Neumann, S. 333-342.

4 Vgl. Verf. (1998): „Kleine Länder – kleine Sprachen – kleine Kulturen“. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 24 (1998), S. 365-373; Hein, Manfred Peter (1999): „Die Traurig­keit einer Reise zum Pol, die im Meer endet. Über kleine Literaturen“. In: MPH: Vom Um­gang mit Wörtern. Streifzüge und Begleittexte. Regensburg: RSL 2006, S. 54 f.; Prunitsch, Christian (Hg.) (2009): Konzeptualisierung und Status kleiner Kulturen. Beiträge zur gleich­na­migen Konferenz in Dresden vom 3. bis 6. März 2008. München, Berlin: Otto Sagner.

5 Undusk, Jaan (2000): „Nationsbildung als Textgestaltung. Die Rhetorik der Synekdoche im Diskurs des Nationalen Erwachens“. In: Varpio, Yrjö/Zadencka, Maria (Hg.): Zur Literatur und Geschichte des 19. Jahrhunderts im Ostseeraum. Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen (= Literatur und nationale Identität 3). Stockholm: Almqvist & Wiksell 2000, S. 9-30; Taterka, Thomas (2011): „Epische Völker. Nationalepen des 19. Jahrhunderts in Europa und im Ostseeraum“. In: Bonner, Withold/Reuter, Ewald (Hg.): Umbrüche in der Germanis­tik. Ausgewählte Beiträge der Finnischen Germanistentagung 2009. Frankfurt/M. u.a.: Lang 2011, S. 191-216.

6 Wie ergiebig eine translationswissenschaftliche Perspektive für die Erforschung des (literari­schen) nation building sein kann, hat bereits 2001 eine (trotz des einschlägigen Kapitels An Epic for Scotland bei Taterka leider nicht be­rück­sichtigte) Germersheimer Dissertation ge­zeigt – vier Jahre später in zwei Bänden erschienen: Kristmannsson, Gauti (2005): Literary Diplomacy. Bd. I: The Role of Translation in the Construction of National Literatures in Bri­tain and Germany 1750-1830; Bd. II: Translation without an Original. Frankfurt/M.: Lang.

7 Überaus anregend für solche Re-Lektüren der Herder’schen Überlegungen sind die Beiträge von Hans Adler („Weltliteratur – Nationalliteratur – Volksliteratur. Johann Gottfried Herders Vermittlungsversuch als kulturpolitische Idee“), Günter Arnold („Historische Anlässe, Quel­len, Illusionen von Herders Nationalstaatsgedanken für Rußland“), Samson B. Knoll („Her­ders Nationalismus – Debatte ohne Ende“) und Jost Schneider („Den Deutschen die Krone? Her­der über den kulturellen Wettstreit der Nationen“) im von Regine Otto 1996 hg. Sammel­band Nationen und Kulturen. Zum 250. Geburtstag Johann Gottfried Herders. Würzburg: Kö­nigshausen & Neumann. – Wichtig ebenfalls die Beiträge von Hans Adler („Nation. Jo­hann Gottfried Herders Umgang mit Konzept und Begriff“) und Horst Turk („Am Ort des Anderen. Natur und Geschichte in Herders Nationenkonzept“) im Sammelband Unerledigte Geschichten. Der literarische Umgang mit Nationalität und Internationalität, hg. von Gesa von Essen und Horst Turk, Göttingen: Wallstein 2000, S. 39-56 u. 415-498. – Kontrovers dis­ku­tiert wird die sehr „herderfreundliche“ Studie von Frederick M. Barnard (2003): Herder on Na­tionality, Humanity, and History. Montreal u. London: McGill-Queen’s University Press.

8 Vgl. Schneider, Jost (Hg.) (1994): Herder im „Dritten Reich“. Bielefeld: Aisthesis.

9 Wer sich scheut, die 1877-1913 von Bernhard Suphan in Berlin hg. 33 Bde. umfassenden Sämmt­lichen Werke (= SWS) zu durchlaufen (oder die von Günter Arnold u .a. 1985-2000 hg. 10/11 Bde. umfassende Werk-Ausgabe des Frankfurter Klassiker-Verlages) sowie die zwi­schen 1977 und 1996 in Weimar erschienenen, von Günter Arnold betreuten 10 Bde. der Brief-Aus­gabe, kann sich (bei Fortfall des Themas Übersetzen) mit einer klug gemachten Aus­wahl be­gnü­gen: Herder (2007): Staat, Nation, Hu­manität. Hg. von Dietmar Willoweit u. Ja­nine Fehn. Würz­burg: Königshausen & Neumann.

10 Schon aus diesem Grund schiene es mir ein wenig sinnvolles Unterfangen zu sein, Herders Kon­zepte mit Formulierungen à la „Schon bei Herder steht geschrieben …“ in den derzeit in un­seren Forscherkreisen populären, ziemlich radikal konstruktivistisch und stark „anti-na­tio­na­listisch“ argumentierenden Nationalismus-Diskurs (Benedict Anderson, Ernest Gellner, Eric J. Hobsbawn usw.) einzupassen – vgl. hierzu auch den 2007 in The Review of Politics (Jg. 69, H. 1, S. 48-78) erschienenen Beitrag „Was Herder a Nationalist?“ von Dominic Eggel u.a sowie den 2008 auf der Internet-Seite Kaka­nien revisited publizierten souveränen Abriss des Szegeder Kulturwissenschaftlers Endre Hárs über „Herder und die Erfindung des Na­tio­na­len“: (www.kakanien.ac.at/beitr/theorie/EHars3.pdf v. 03.12.2008, 12 S.).

11 Zitiert wird aus der leicht zugänglichen, von Hans Dietrich Irmscher hg. Reclam-Ausgabe, Stuttgart 1990, S. 35.

12 Ideen, 6. Buch, 4. Kapitel („Organisation der afrikanischen Völker“), SWS XIII, S. 232.

13 Auch eine Philosophie, S.11 f.

14 Überzeugend kontextualisiert wird Herders Ablehnung des französischen Universalismus der Aufklärungszeit in Isaiah Berlins aus dem Anfang der 70er Jahre stammenden Überle­gun­gen zum Nationalismus, die in der derzeit den Diskurs anführenden Forschungsliteratur aller­dings kaum rezipiert wer­den. – Berlin, Isaiah (1990): Der Nationalismus. Aus dem Eng­li­schen von Johannes Fritsche. Frankfurt/M.: Hain 1990 (vor allem S. 58-65). – Bei Berlin (ebd., S. 69) auch der reizvolle Vorschlag, Raymond Arons Charakterisierung des Marxismus („Opium für Intellektuelle“) auf den Nationalismus deutscher Prägung anzuwenden.

15 Auch eine Philosophie, S. 47.

16 Ebd., S. 48.

17 Ebd., S. 38.

18 Ebd., S.54.

19 Vgl. Kunze, Rolf-Ulrich (2005): Nation und Nationalismus. Darmstadt: Wissenschaftliche Buch­gesellschaft, S. 75.

20 Herder (1797): Briefe zur Beförderung der Humanität. 10. Sammlung. SWS XVIII, S. 237 u. 248.

21 Herders Überlegungen zur „Naturgeschichte der Menschheit“ (SWS XVIII, S. 246-251) sind Grundlage auch seines antikolonialen Weltliteratur-Konzeptes; vgl. Kelletat, Andreas F. (1984): „Uni­versalismus contra Klassizismus“. In: Ders.: Herder und die Weltliteratur. Zur Geschich­te des Übersetzens im 18. Jahrhundert. Frankfurt/M. u.a.: Lang, S. 99-125. Vgl. auch Poltermann, Andreas (1997): „Antikolonialer Universalismus: Johann Gottfried Herders Übersetzung und Sammlung fremder Volkslieder“, in: Doris Bachmann-Medick (Hg.): Über­set­zung als Repräsentation fremder Kulturen. Berlin: Erich Schmidt, S. 217-259.– Etwas mehr Beachtung des Herder’schen Konzepts universalliterarischer Literaturbetrachtung wünschte man sich bei Lamping, Dieter (2010): Die Idee der Weltliteratur. Ein Konzept Goethes und seine Karriere. Stuttgart: Kröner.

22 SWS XVIII, S. 208.

23 Heine, Heinrich (1835): Die romantische Schule. Erstes Buch. In: H.H.: Sämtliche Schrif­ten. 3. Bd. Hg. von Klaus Briegleb. 2. Aufl. München: Hanser 1978, S. 379.

24 Ebd., S. 410.

25 SWS XVII, S. 230. – Herders Ausführungen zum Nationalwahn zitiert auch Manfred Peter Hein in seinem 1984 geschriebenen Essay „Zur Utopie einer Weltkultur“, in: MPH (2006), S. 94-98, hier S.97. – Vgl. zu Herders Wahn(sinn)-Begriff Hárs 2008, S. 9 f.

26 Ebd., S.231.

27 Die ältere Forschungsliteratur zum Thema Herder als Übersetzer findet man in meiner Dis­ser­tation verzeichnet (1984, S. 259-268), weitere im Literaturverzeichnis der FHA, Bd. 3 (1990, S. 1490-1495), die neueste in den 17 Beiträgen des Sammelban­des: Couturier-Hein­rich, Clé­men­ce (Hg.) (2012): Übersetzen bei Johann Gottfried Herder. Theorie und Praxis. Hei­del­berg: Synchron. – Herders zahlreiche Brief-Äußerungen zu seinen „Nachdichtungen, Über­set­zun­gen, Bearbeitungen“ sind unter dieser Überschrift im von Günter Arnold, Günter Eff­ler und Clau­dia Taszus erstell­ten, 1996 in Weimar erschienenen Registerband der Brief-Ge­sam­tausgabe hervor­ragend er­schlos­sen (HBG, S. 35-39).

28 Die fortdauernde Gültigkeit dieser Kriterien zeigt Franz Koppe (1983): Grundbegriffe der Ästhetik. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 122-136.

29 So Herder in seinem Nachruf auf Klopstock, der 1803 im Rahmen der „Briefe beim Lesen des Horaz“ in der Adrastea erschien; jetzt in SWS XXIV, S. 220.

30 Herder (1767/1877): Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Fragmente. Zweite Sammlung. Zweite völlig umgearbeitete Ausgabe (Aus der Handschrift). In: SWS II, S. 118 f.

31 Ebd., S. 117 f.

32 Lessing (1759): Dreiunddreißigster Brief. In: Ders.: Briefe, die neueste Literatur betref­fend. Hg. von Wolfgang Bender. Stuttgart: Reclam 1979, S. 91. – Beweis für seine Behaup­tung sind das „Lied eines Lappländers“, auf das Lessing in Scheffers Lapponia gestoßen war, sowie „Dainos“, die er in Ruhigs Litauischem Wörterbuch fand. – Vgl. Kelletat 1984, S. 127-183.

33 Herder 1767/1877, S. 178.

34 Vgl. Herder (1771): „Auszug aus einem Briefwechsel über Oßian und die Lieder alter Völ­ker“. In: Herder/Goethe/Frisi/Möser: Von deutscher Art und Kunst. Einige fliegende Blätter. Hg. von Dietrich Irmscher. Stuttgart: Reclam 1977, S.11

35 „Nationalautor“ meint nicht den, den das Deutsche heute als „Nationaldichter“ bezeichnet; vgl. die Bemerkung oben zum „Nationallied“, das keine „Nationalhymne“ ist.

36 Herder 1767/1877, S. 162. – „Kopierende Originale“ – wäre das nicht (ergänzend zu Gauti Krist­mannssons „Translation without an Original“) eine treffende Bezeichnung für all jene Na­tionalepen, die z.B. rund um die Ostsee im 19. Jahrhundert entstanden sind? Translatori­sches Handeln als integraler Teil des nation building

37 SWS XVIII, S. 111 u. 115.

38 Vgl. Apel, Friedmar (1982): „Sprachbewegung und Übersetzung bei Herder“. In: Ders.: Sprachbewegung. Eine historisch-poetologische Untersuchung zum Problem des Übersetzens. Heidelberg: Winter, S. 84-89.

39 SWS XXVII, S. 207.

40 Ebd., S. 274 f.

41 Schlegel, August Wilhelm von (1846): [Rezension der Herder’schen Balde-Übersetzung]. In: Sämmtliche Werke. Bd. 10. Hg. von Eduard Böcking. Leipzig: Weidmann 1846, S. 376-413, hier S. 378.

42 Herder (1785/1978): Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Hg. von Regine Otto. 5. Aufl. Berlin/Weimar: Aufbau 1978, S. 188 f. (8. Buch, Kap. V. ). Vgl. Hárs 2008, S. 8 f.

43 Anderson, Benedict (1983/1996): Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenrei­chen Konzepts. Aus dem Engl. (Imagined Communities) von Benedikt Burkard und Christoph Münz. Frankfurt/M./New York: Campus 1996, S. 43.

44 Taterka 2011, S. 200.

45 In der Opposition von „staats-“ bzw. „textgezeugten“ Nationen stehen sich just wieder jene Nationen gegenüber, die Friedrich Meinecke in Weltbürgertum und Nationalstaat (1908) als „Staatsnationen“ bzw. „Kulturnationen“ bezeichnet hat.

46 Boguna, Julija (2014): Lettland als übersetzte Nation. Garlieb Merkels Die Letten und ihre Rezeption im 19. Jahrhundert in Livland. Berlin: Frank & Timme.

47 Einblicke in die aktuellen Forschungstendenzen geben u.a.: Boguna, Julija u.a. (2011): „Von der Schrift der Gemeine zur Stimme der Nation. Zur Konstruktion lettischer Identität um 1800 in J. Pulans Stahʃtś tahś Lattweeʃchu Tautaś“. In: Bosse, Heinrich/Otto-Heinrich, Elias/Ta­ter­ka, Thomas (Hg.): Baltische Literaturen in der Goethezeit. Würzburg: Könighausen & Neu­mann, S. 15-64; Paškevica, Beata (2008): „Herders Volksliedkonzept als Modell für die Bil­dung lettischer Nationalliteratur“. In: Taszus, Claudia (Hg.): Vernunft – Freiheit – Humanität. Über Johann Gottfried Herder und einige seiner Zeitgenossen. (FS Günter Arnold). Eutin: Lum­peter & Lasel, S. 347-356; Taterka, Thomas (2011): „Aufgeklärte Volksaufklräung. Auf­klä­rung und Volksaufklärung im Baltikum oder Garlieb Merkel und die Entstehung des deutsch-lettischen Lesebuchs Das Goldmacherdorf / Zeems, kur ʃeltu taiʄa nach Heinrich Zschokke“. In: Kronauer, Ulrich (Hg.): Aufklärer im Baltikum. Europäischer Kontext und re­gio­nale Besonderheit. Heidelberg: Winter, S. 17-56.

48 Herder (1819): „Briefe, das Studium der Theologie betreffend.“ Nach der 2. Ausgabe hg. von Johann Georg Müller. In: Herder: Sämmtliche Werke. Zur Religion und Theologie. Bd. 9. Wien/Prag: C Haas’sche Buchhandlung, S. 343.

49 Zu dem Hegel-Schüler Snellman, einem der interessantesten Protagonisten der nord­ost­euro­päischen Nationalbewegungen, s. Neureuter, Hans Peter (1984): „Johann Vilhelm Snellman. Leben, Werk, Deutschlandreise. Ein Beitrag zur finnisch-deutschen Geistes­ge­schichte“. In: Snell­man: Deutschland. Eine Reise durch die deutschsprachigen Länder 1840-1841. Hg. von HPN. Helsinki u. Stuttgart: Otava u. Klett-Cotta, S.517-626.

50 Anderson 1996, S. 41.

51 Man könnt natürlich auch sagen: Wenn Jacob Grimm und seine philologisch geschulten Söhne bzw. Schüler das Epos so eng mit dem Thema Nation verknüpft haben, ist es nur recht, dass Grimms Urenkel diesen Konnex nun mit philologischer Akribie dekonstruieren.

52 Renan, Ernest (1882/1996): Was ist eine Nation? Rede am 11. März 1882 an der Sorbonne. Aus dem Franz. von Henning Ritter. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, S. 35.

53 Ebd., S. 37.

54 SWS XVIII, S. 137.